Mittwoch, 23. August 2017
Tareq kotzt alles an.
medias, 09:58h
Seit Jahren war er nun ohne Arbeit und an sein Leben in Armut hatte er sich quasi schon gewöhnt. Er hauste mit seinen Eltern und seinen zwei Brüdern irgendwo am Rande von Tripolis in einer viel zu kleinen Wohnung inmitten einer vom Krieg in Mitleidenschaft gezogenen Wohngegend, in der Gewalt, Chaos und Anarchie herrschte. Mit seinen Brüdern Khalid und Mohammed hatte er sich einer Straßengang angeschlossen und gemeinsam marodierten sie nun durch die Gegend. Viel zu oft war er schon mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Er hat erfahren müssen, dass der Staat, sein Staat, korrupt und gescheitert ist, dass nur, wer Geld besitzt, Einflussnahme üben kann, um dann seinen Reichtum weiter anzuhäufen. Die da oben. Eine Minderheit, die sich einen Dreck um die breite arme Masse scherte. Zu "denen da oben" gehörte aber auch der IS, der sich in den letzten Jahren zunehmend in Libyen ausbreiten und seinen Machtbereich immer mehr ausweiten konnte. Tareq kannte ein paar junge Männer aus der Nachbarschaft, die sich dem IS angeschlossen hatten. Seitdem berichteten sie mit glänzenden Augen von den Versprechungen und Zielen des IS. Und: Dort hörte man ihnen zu, gab ihnen eine Perspektive, bestätigte sie in ihrem Glauben, dass ihre hoffnungslose Situation nur dem Treiben der Ungläubigen, der westlichen Welt geschuldet sei. Der arabische Frühling vor zehn Jahren hatte die Hoffnungen, die Tareq und seine Freunde damals gehegt haben, nicht erfüllt. Im Gegenteil. Seit dem gewaltsamen Sturz Gaddafis, dem Eindringen der westlichen Mächte, allem voran der USA, war das Land doch erst in Chaos und Anarchie versunken. "We bring democracy in our country", hatte Tareq damals auf einem Militärfahrzeug der US Armee gelesen. Ja von wegen! Heute ist Libyen ein failed state. Scharenweise fliehen die Leute ins Ausland. Keine Perspektiven, keine Arbeit, überall Gewalt und Chaos. Gaddafi war sicherlich kein guter Mensch gewesen. Auch er hatte sich bereichert, mit grausamen und ungerechten Methoden regiert und sich einen Dreck um menschenrechte gekümmert. Aber es hatte eine gewisse Ordnung geherrscht in Libyen. Wenn man sich angepasst hatte, ruhig geblieben und nicht aufsässig geworden ist, hatte man unter dem Diktator recht gut leben können. Zumindest er und seine Familie. Der Islam hatte seine Daseinsberechtigung, aber war gemäßigt gewesen. Radikale Kräfte, wie es der IS sicherlich ist, konntens ich nicht ausbreiten. Neulich hatte Tareq einmal einen Satz gelesen, der ihn nachdenklich gestimmt hatte: Der Islam funktioniere nur in einem diktatorisch regierten Land. In einem freien Land arte der Islam fundamentalistisch aus. Die Diktatur hingegen drossele die radikalen Strömungen, die diese Religion hervorbrachte. Ein paar junge Männer kannte Tareq, die sich einem Schleuser angeschlossen haben, der sie mit einem Boot über das Mittelmeer nach Europa gebracht haben soll. Es wird allerdings auch kolportiert, dass das Boot gesunken sei und alle im Meer ertrunken seien. Europa! Das gelobte Land! Tareqs Traum ist es, dort ein neues Leben aufzubauen. Arbeit, Sicherheit, ein regelmäßiges Einkommen. Doch wie sollte er dorthin kommen? Der Transfer würde ihn gut 1000 US Dollar kosten. So viel Geld besitzt Tareq nicht. Er hatte bereits von den vielen Flüchtlingen gehört, die nach Europa gelang seien. In Lagern hätte man sie gehalten, irgendwo an der europäischen Grenze, wie Vieh. "Euch will hier niemand", sollen die Europäer gesagt haben. Von einem Schleuser jedoch habe er ganz andere Dinge erfahren. In Europa würden dringend Arbeitskräfte gesucht werden. Jeder junge Mann, der gesund sei und kräftig, würde mit offenen Armen willkommen werden. Tareq ist hin- und hergerissen. Letztendlich könne er sich die lange gefährliche Reise nach Europa eh nicht leisten. Heute Abend würde er sich wieder mit den jungen Männern treffen, die sich dem IS angeschlossen haben. Vielleicht gäbe es ja hier eine Perspektive für ihn ...
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