Montag, 4. September 2017
Nochmal was aus dem Alltag.
Letzte Woche in der Notaufnahme, vormittags gegen elf. Ein jüngerer Mann betritt den Eingangsbereich. Offenbar ist er nicht ernsthaft erkrankt. Zumindest wirkt er nicht so. Ich bin noch mit einem anderen Patienten beschäftigt. Nach zwanzig Minuten dann betrete ich das Behandlungszimmer, wo ich den jungen Mann antreffe. Mitte zwanzig. Sein Name weist auf seine Herkunft hin: Nordafrika, Magreb-Staaten. Ich beginne das Gespräch, indem ich ihn frage, ob er deutsch spricht. Tut er, mehr schlecht als recht, aber wir können uns verständigen. Englisch spricht er nicht. Ich versuche den Grund seiner Konsultation herauszufinden. Rückenschmerzen. Seit heute morgen. Er fasst sich mit schmerzverzerrtem Gesicht an die Lendenwirbelsäule. Er sei deshalb nicht zur Arbeit gegangen. Richtig schlimme Schmerzen vermute ich aber nicht, dafür ist er zu geschmeidig durch die Notaufnahme gelaufen. Ich untersuche den jungen Mann, finde nichts Auffälliges. Er ist nicht fordernd, nicht wie diese privatversicherten Fuzzis, die herkommen und sofort eine MRT-Untersuchung verlangen. Ich frage den Mann, ob der Schmerz so stark sei, dass er eine intravenöse Schmerzinfusion benötige. Er winkt ab. Nein, brauche er nicht. Aber einen Krankenschein bräuchte er, am besten für die nächsten Tage. Daher weht also der Wind! Ich teile ihm mit, dass wir als Notaufnahme keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausstellen dürfen, das sei Aufgabe seines Hausarztes. Dort hätte er sich mit seinen banalen Beschwerden sowieso zunächst vorstellen müssen und halt nicht in der Notaufnahme, die ja, wie der Name sagt, Notfällen vorbehalten ist. Ich behalte das aber für mich. Diesbezüglich habe ich irgendwie resigniert. Ich bin es tatsächlich mittlerweile leid, Leuten mit Wald-und-Wiesen-Beschwerden zu erzählen , dass sie in der Notaufnahme nichts verloren haben sondern sich beim zuständigen Hausarzt vorzustellen haben. Die anfänglich freundliche Stimmung kippt. Lautstark verlangt der junge Mann in brüchigem Deutsch erneut und mit Nachdruck eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Ich bleibe sachlich, erkläre ihm nochmals, dass wir in der Notaufnahme das nicht dürfen. Ich habe diese Vorgabe nicht erfunden, das ist tatsächlich so. Ich würde ihm einen Brief schreiben, den er seinem Hausarzt überreichen solle. Dieser würde ihn dann auch krankschreiben.
Der junge Mann mit den angeblich ach so starken Rückenschmerzen springt auf und schimpft lautstark. Seine schwer verständliche Hasstirade beendet er dann mit dem Ausruf: "Du Nazi!"
Jetzt reicht es mir. Ich spüre Wut aufsteigen. Was bildet dieser kleine Drückeberger sich ein? Nicht nur, dass er denkt, sich mit angeblichen, aber offenbar nicht existenten Beschwerden in der Notaufnahme vorzustellen, um eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschleichen. Nein, das allein ist es nicht, was mich so wütend macht. Das tun ja immer wieder irgendwelche Leute. Nein, etwas anderes hat mich meine Contenance verlieren lassen: Was bildet der Typ sich ein, mich zu dutzen?

Im Ernst: Die Nazi-Keule perlt an mir ab wie Wasser an einer Teflonpfanne. Diese Beschimpfung hört man von Patienten mit Migrationshintergrund immer wieder, wenn man ihren Forderungen nicht nachkommt. Nur weil da vor 80 Jahren so ein Spinner namens Adolf sein Unwesen in Deutschland getrieben hat, fühle ich mich dafür weder verantwortlich noch mitschuldig. Mir ist es prinzipiell egal, wer da zu mir kommt.
Eminem hat mal sinngemäß gesagt: Es ist mir egal, welcher Ethnie du angehörst, an welchen Gott du glaubst, welche sexuelle Präferenz du hast. Bist du nett zu mir, dann bin ich nett zu dir.
Ja, und so handhabe ich es auch. Und das seit mehr als 40 Jahren.

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