Montag, 18. September 2017
Ich ...
... bin geschickt worden. Oder nein, sagen wir lieber, ich bin gesandt worden. Ich bin ein Gesandter, kein Geschickter. Geschickt werden hört sich immer so an, als sei man Depp eines anderen, der einen halt schickt, um niedere oder unangenehme Tätigkeiten zu erledigen. Also man hat mich gesandt. Zu einem Discounter. Aldi, Lidl, wie sie alle heißen. Bei mir war’s der Lidl. Ich glaube, ich bin noch nie in einem Lidl-Laden gewesen. Wenn Discounter, dann Aldi. Das Original. Mit Aldi hat der Discounter-Boom angefangen. Alle anderen sind nur Nachahmer einer sehr guten Geschäftsidee. Genauso wie ich auch nur mit DHL verschicke, niemals nie mit Hermes, DPD und so weiter. Dazu werde ich hier auch mal etwas schreiben, das ist einen Beitrag wert und soll nicht im Nebensatz eines Beitrags über Discounter untergehen. Also gut, ich bin also zum Lidl gesandt worden. Ich soll etwas für meinen Kleinen kaufen. Mein Kleiner ist ja ein Kleinkind und das kann halt noch nicht selbst zum Lidl. Seine Mutter hatte keine Lust, keine Zeit oder wie auch immer und hat mich also geschickt, also gebeten, gesandt oder wie auch immer. Ich lasse mich ja nicht gerne schicken und von der Mutter meines Kindes schon zweimal nicht. Aber es war zum Wohle meines Kleinen und da bringt man auch mal Opfer. An diesem jenem Tag also soll es also Winterklamotten für Kinder beim Lidl geben. Ich habe zuvor nochmal im Internet nachgeschaut, um nicht unverrichteter Dinge wieder wegfahren zu müssen. Einen Softshell-Overall sollte ich mitbringen, eine Regenjacke und eine Regenhose. Nun muss man wissen, dass das alles nicht so einfach ist, wenn man solche Angebote bei einem Discounter erstehen will. Normalerweise fährt man ja in ein Bekleidungsgeschäft, schaut sich in der Kinderabteilung um, stöbert in den Klamotten herum und kauft dann etwas Passendes. Bei einem Discounter hingegen ist das Angebot sehr begrenzt und wenn die Artikel ausverkauft sind, kommt auch nichts mehr nach. Weg ist weg. So wie bei den Aldi-Computern. Da muss man sich auch sehr früh morgens vor seiner Aldi-Filiale einfinden, am besten eine gute halbe Stunde vorher, um dann festzustellen, dass da bereits gut zehn andere schon schneller waren. Wird dann die Ladentür geöffnet, stürmen alle wie auf der Flucht nach vorne, um einen dieser Computer zu ergattern. Nach weniger als fünfzehn Minuten ist der Spuk vorbei. Das Regal mit den Computern ist leer, als habe es das Angebot niemals gegeben. Ich dachte, das gilt für Computer oder Smartphones beim Discounter. Aber Kinderklamotten? Die Mutter meines Kleinen hat mich schon vorsorglich darauf hingewiesen, dass es sinnvoll wäre, vor der Öffnungszeit zugegen zu sein. Gut, also dann stand ich da um 6:40 vor der hell erleuchteten noch verschlossenen gläsernen Eingangstür der Lidl-Filiale. Drinnen herrschte schon emsiges Treiben der Angestellten. Und vor der Eingangstür auch. Ich befand mich in einer Heerschar von Müttern, die mit den Hufen scharend die Öffnung der Eingangstür herbeibeteten. Die Stimmung war keineswegs entspannt. Im Gegenteil! Fast schon aggressiv! Jede wollte die Erste am Stand mit den Kinderklamottenangeboten sein. Eisiges Schweigen, verbissener Gesichtsausdruck, Kampfeslust gepaart mit Geringschätzung und Feindseligkeit. Zehn Sekunden vor sieben näherte sich dann von innen ein Lidl-Angestellter der Eingangstür und tippte einen Zahlencode in eine kleine Box an der Wand. Sogleich öffnete sich die Tür. Was nun geschah, lässt sich nicht mit ein paar einfachen Worten beschreiben. Von östrogengeschwängertem Jagdinstinkt angetrieben, preschte die Müttermeute aggressiv nach vorne, mit ausgefahrenen Ellenbögen und grimmiger Miene, bewaffnet mit Regenschirmen und ausgestattet mit riesigen Ikea-Tragetaschen, um die erlegte Beute gleich einzutüten. Wäre ich nicht ein einsfünfundachtzig Meter großer Mann, wäre ich sicherlich über den Haufen gerannt worden und hätte mich auf dem Fußboden wiedergefunden. Der wahre Kampfschauplatz war dann natürlich das Regal mit den Kinderklamotten. Schulter an Schulter standen die Kampfamazonen über den Angeboten gebeugt schwitzend und schimpfend da. Es wurde gedrängelt, geschupst, gekratzt und gespuckt. Böse Blicke wurden einander zugeworden, Flüche ausgerufen und sogar mit den Fäusten gedroht. Ganz hemmungslos verschwanden fünf, sechs, zehn und mehr Packungen mit Hosen, Jacken und weiß-Gott-was in irgendwelchen Tragetaschen. In Windeseile wurden die zuvor ordentlich verstauten Packungen durchstöbert und im Chaos zurückgelassen. Nach mir die Sintflut. Eine Mutti war sogar so dreist, dass sie im Grunde wahllos alles, was sie in die Finger bekam, in ihren Einkaufswagen warf bis dieser randvoll gewesen ist, um dann in einer stillen Ecke in aller Ruhe die richtigen Klamotten herauszusuchen. Ein wenig erinnerte mich das ganze Szenario an einen Hühnerhaufen während der Fütterung. Da wird ebenfalls gepickt und gehackt und dem Nachbarhuhn das letzte Korn vor der Nase weggeschnappt. Nach zwanzig Minuten war der Spuk dann vorbei und die gesättigte Meute rückte wieder ab. Zurück blieb Chaos und Verwüstung, als sei eine Bombe detoniert. Ich selbst habe mich aus dem Treiben übrigens frühzeitig zurückgezogen. Zu groß schien mir die Gefahr für Leib und Leben. Ich habe schon Schlägereien mit gestandenen Männern überlebt, tätliche Angriffe von randalierenden Patienten, bin mit Schusswaffen und Messern bedroht worden. Doch das ist alles nichts gegen eine Horde wildgewordener hysterischer Mütter im Kaufrausch. Letztendlich habe ich mein Smartphone gezückt, die Amazon-App geöffnet, meine Bestellung aufgegeben und bin unversehrt wieder gefahren. War dann zwar etwas teurer, da bei Amazon, aber das war es mir wert. Soll die Mutter meines Kleinen doch beim nächsten Mal selbst in den Krieg ziehen.

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Da ...
... hätte die Schneeschaufel geholfen.

Übrigens kann man auch bei Lidl übers Internet bestellen, da brauchts kein Amazon.
Dies überführt Dich auch der maßlosen Übertreibung, denn auch die Muttertiere nutzen Internet, egal aus welchen prekären Verhältnissen und/oder Zuständen sie kommen und so ist diese Erzählung bestenfalls ein geträumter Traum.

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Auch wenn Übertreibungen ...
... das Salz in der verbalen Suppe sind und aus einer faden Begebenheit ein würziges Erlebnis werden lassen, so in etwa war es schon gewesen.

Wenn der Online-Handel den Einzelhandel ausgeschaltet hätte, wären die Innenstädte kurz vor Weihnachten ja leer. Das Gegenteil ist aber der Fall.

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Weihnachten ...
... ist das Internet doch in den Weihnachtsferien.

Trotzdem kannste direkt bei Lidl im Internet bestellen.
Sogar Blumen und Reisen.

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Wenn ich so etwas lese oder selbst erlebe,
ist mein erster Impuls:
Den Schlampen/Rüpeln muss mal jemand Benehmen eintrichtern.

Mein zweiter Impuls: Armut und Mangel lässt einen zum Kämpfer/zur Kämpferin werden, reiner Überbensinstinkt. Hör auf so arrogant über Leute zu urteilen, die mit ein paar Hundert Euro im Monat auskommen müssen.

Mein dritter Impuls: Alles grenzdebile Rüpel und Schlampen, die sind nicht arm, nur gierig, eine Grundstimmung, die sich in unserer Gesellschaft ausbreitet wie ein Krebsgeschwür.

Auf jeden Fall ein sehr schöner, wunderbar überzeichneter Text. Dankeschön!

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Jaja ...
... ein bißchen übertrieben und überzeichnet war die Schilderung schon, aber im Kern stimmt der Wahrheitsgehalt.

Armut und Mangel ... keine Ahnung, die Frauen wirkten "ganz normal". Und auf dem Parkplatz vor der Filiale standen durchaus Automobile der gehobenen Mittelklasse bis Oberklasse. Wahrscheinlich war es doch eher Typus "gieriger Rüpel".

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